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Herr S.

Ich kann mich noch ziemlich genau an meine ersten hundert Westmark erinnern. An den Schein an sich, an das zielstrebige Suchen und das folgende Einkaufen. Und ganz besonders an die entgeisterten Augen meiner Freundin zu Hause. Seit frühester Kindheit hatte ich mir an diversen Spielzeugläden die Nase plattgedrückt. Und mit dieser Rotznase zumindest teilweise für klare Sicht auf allerlei Spielzeug gesorgt. All mein Interesse galt einem grün-weiß gespritzten Wartburg – Polizeiauto, das aber unerschwinglich teuer für mich kleinen Stöpsel war. Das war über eine lange, weiße Schnur mit einem Kasten verbunden, über den man das Auto lenken und fahren konnte. Und vor allen Dingen eben auch mit lautem Sirenengeheul durch die Wohnung jagen konnte.
Das Auto verstaubte mit den Jahren in dem Spielzeugladen um die Ecke. Und ich wurde älter, vergaß aber nie diesen Hang zum Spielzeug der Spielzeuge. Es begab sich zur 10. Stunde des 10. November, daß ich mit einem frisch von der Bank geholten hundert Westmarkschein im KaDeWe durch die Etagen schritt und wie aus heiterem Himmel durchfuhr mich der Gedankenblitz, doch hier in die Spielwaren- abteilung nach ferngesteuerten Autos zu schauen. Und da stand er, ein schwarzer Nightrider, ohne lästige weiße Schnur, dafür mit ‚unlimited Reichweite’ und Turboschalter für ‚noch schneller’. Es gab kein Überlegen, der Griff zum Geld geschah ganz automatisch und so hatte ich endlich meinen Traum im Einkaufsbeutel. Zu Hause habe ich es kaum abwarten können, die Batterien aufzuladen und dann ging es nach kurzem Anrempeln aller möglichen Möbel sofort auf richtige Fahrt: raus auf die Straße.
Na ja, gegen abend kam dann meine Freundin auf eben dieser angeschlendert und fragte mich, ob ich sie denn noch alle habe. Ich nickte . . . hatte ich und hatte ich nicht. Die Tassen waren noch da, die hundert Mark weg. Es gab keinen großen Eklat, es waren ja umgerechnet nur ca. 800 Ostmark . . . aber das mit der Umrechnung, das ist noch ’ne andere Geschichte.

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