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Die DDR war eingemeindet worden, da beschlossen wir, mit der Mutter eine Nostalgiereise zu unternehmen. Die Stationen sollten in der Reihenfolge abgehakt werden, wie sie der Mutter passiert waren. Zuerst in der alten Heimat, dann in der Ostzone. Hinter Aussig, heute Usti nad Labem, wollte das Auto nicht mehr, die Kupplung hatte ihren Geist aufgegeben.

"Volkswagen wäre keine Problem", sagten die beiden Jungs, die sich das ansahen, "aber Mitsubishi, no way." So schleppten sie uns hoch zur Grenze.

Der tschechische Grenzbeamte legte selbst mit Hand an, um uns auf die deutsche Seite zu bugsieren. Eine Abschiebung, so "human" wie nur je ein Potsdamer Abkommen sich das vorgestellt hatte.

Hier waren jetzt einige Dinge zu erledigen. Die sächsischen Freunde mussten angerufen werden, damit sie uns ins Landesinnere schleppten, wo es schon eine Vertragswerkstatt gab. Münztelefon war keines zu sehen, also rein in das Zollgebäude.

Dort saßen sie noch in den alten Uniformen und schauten ein wenig befremdet. Nur der Boss war ein Westdeutscher. Er hatte einen Pullover an. Das war so umwerfend zivil, ziviler hätte er auch nicht ausgesehen, wenn er nur mit einer Badehose bekleidet gewesen wäre.

Ohne auch nur ein Wort zu wechseln, erkannten wir beide uns sofort als zwei 68 geformte, sagenhaft lockere Typen. Und es war uns klar, dass es unser Job war, diesen muffigen Subalternen einmal nachdrücklich vorzuführen, was jetzt angesagt ist, soll heißen, wie wir in der alten BRD, die ja auch ihr Deutschland werden sollte, miteinander umgehen. Ein Scherzwort gab das andere, um das Ding mit der für uns selbstverständlichen Coolness durchzuziehen.

"Wie wäre es mit einem Anruf über das alte Netz des MfS, hahaha, so telefoniert sich zusammen, was zusammengehört, hohoho, sind die dreißig Pfennig jetzt Telefongebühren oder schon Korruption, hihihi!"

Nicht per Anweisung, wie sie es gewohnt waren, sondern nur durch ein klasse Beispiel konnte man in die DDR-verseuchten Bürokratenhirne einträufeln, was sie in Zukunft unter neudeutscher Liberalität zu verstehen hatten. Die Uniformierten lachten pflichtgemäß, aber irgendwie verkniffen.

Wir hatten ihnen eine perfekte Lektion erteilt und ihnen ein bisschen von dem neuen Geist beigebracht, der jetzt hier zu herrschen hatte. Das war uns Lohn genug.

Möchte nur wissen, warum ich mich jedes Mal so schäme, wenn ich an die halbe Stunde in der deutschen Station an der tschechischen Grenze zurückdenke.


"Mein erster Tag auf der anderen Seite"
(Umfrageergebnisse, München/Denning, Sommer 2005)

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